Kennt ihr das? Ihr scrollt nen Meter auf eurer Facebook-Startseite entlang, ärgert euch gerade noch über das Verhältnis von Postings eurer Freunde zu Schwachsinns-Beiträgen von denen, die es gern wären (Social Media Manager, verzeiht!), da taucht einer dieser Ich-weiß-genau-du-brauchst-dein-Geld-auf-Reisen-für-Schuhe-Postings auf und preist den ultimativen, nicht auszuschlagenden Schnapper an. Ihr so:
Geil. Mutter. Geburtstag. Bald. Visa. Done.
Warum auch nicht.
Meine Mutti hat ihre Sommer von klein auf an der Ostsee verbracht. Als mich das Iberotel Boltenhagen-Angebot von Travelcircus eines Morgens bei Facebook fand, war ich sicher, das isn Fang. Bezahlbare zwei Nächte im ausgezeichnet bewerteten 4-Sterne Hotel, mit Frühstück, Parkplatz und Wellness. Schlussendlich überzeugt hat mich aber Folgendes: alle Zimmer mit Meerblick. Meer sehen. Vom Bett aus. Wenn es etwas gibt, das ich auf Reisen besonders gerne mache, dann das.
Ich wünschte, ich könnte euch meine via Google zusammengeklaute Bilder-Collage zeigen, die unseren Mädchentrip auf der Innenseite einer Supermarkt-Geburtstagskarte visuell anpries. Ein Kunstwerk war das. In Angstschweiß gebadet und unter Einsatz meines beruflichen Lebens druckte ich die malerische Boltenhagener Strandpromenade und werbewirksame Shots des besagten Hotels am Bürodrucker aus. Der Pritt-Stift, der seit meinem Berufseinstieg vor einigen Jahren in meinem Rollcontainer haust, feierte Premiere. Mithilfe meines gesamten Marketingwissens arrangierte ich die ausgeschnittenen Schnipsel so, dass ein Ausrasten seitens meiner Mutter vorprogrammiert war. Der Tag aller Tage kam, Mutti freute sich riesig. Ich glaube vor allem über das geplante Wochenende.
Boxenstopp in Hamburg
Von Paderborn nach Boltenhagen sind es gut 400 km. Die Strecke führt an Hamburg vorbei, was einen Abstecher in die Hansestadt unerlässlich macht. Also buchten wir eine zusätzliche Nacht im NH-Hotel Altona und los ging der Spaß. Die Strecke nicht an einem Stück fahren zu müssen war ein klarer Vorteil. Selbstverständlich weniger für unsere Portemonnaies denn vielmehr für unser allgemeines Wohlbefinden. Angekommen in der Stresemannstraße, parkten wir unser Auto kostenlos direkt am Hotel. Da Mutti Hamburg zuvor nicht kannte, ließen wir uns beim Einchecken zwei Orientierungshilfen aufschnacken: Stadt- und Hafenrundfahrt.
Ein kurzer Snack beim Domino’s um’s Eck füllte mit leckerer wenngleich in Öl getränkter Pizza unsere hungrigen Mägen. Der direkt vor dem Laden abfahrende Linienbus 3 brachte uns anschließend zum Startpunkt der blauen Linie: dem Hamburger Rathausplatz. Um ehrlich zu sein mache ich diese Touri-Touren sehr gerne, wenn ich eine neue Stadt erkunde. Sie schaffen einen Überblick und sind vor allem eines: bequem. Nachdem wir bereits drei Autostunden hinter uns hatten war uns eine zunächst passive Rezeption sehr recht. Und ich muss sagen, die unterhaltsame weil wortgewandte Dame, die ihr Wissen über Hamburg mit uns teilte, hat das bezaubernd gemacht. Es ging rund um die Binnen- und Außenalster, an der Hafencity sowie Speicherstadt vorbei, hin zu den Landungsbrücken und über die Reeperbahn wieder zurück Richtung Michel und Nikolaikirche.
Geflasht von Hamburgs reizender Schönheit, stiegen wir nach einer guten Weile wieder am Rathaus aus und deckten uns im Fölsch-Block mit neumodischem Convenience-Food ein, das wir im Hotelzimmer verspeisten. Es war bereits Abend geworden. Zeit für echte Kultur. Ein Taxi brachte uns aufgebrezeltes Mutter-Tochter-Gespann zur Reeperbahn und setzte uns in Sichtweite der Herbertstraße ab. Direkt vor dem Schmidt Tivoli, einem „Verzehrtheater in schönster Tradition.“ Für alle, die gerade die Stirn kräuseln und sich fragen,
WTF?!
– nein, das Schmidt Tivoli hat nur indirekt etwas mit Prostitution zu tun und ja, es ist ein echtes Theater mit echten Schauspielern.
Meine Mutti hatte die „Heiße Ecke“ im Internet entdeckt und spontan Karten für uns besorgt. Ein Musiktheaterstück, das mit gehörig Witz und Ohrwurmalarm den Alltag auf der Reeperbahn durch den Kietz-Kakao zieht. Die Gags waren mir persönlich stellenweise zu albern und vorhersehbar, den Soundtrack trällere ich allerdings bis heute noch vor mich hin. Ganz bezaubernd ist die Location. Während in Theater-Sälen in der Regel gehungert wird, bringt man ihn hier einfach mit. Von Popcorn über Gebäck bis hin zur deftigen Currywurst wird der abendliche Snack samt Getränk während der Vorstellung am Platz serviert. Wir saßen in der ersten Reihe des mittleren Saal-Bereichs. Das Parkett kann ich nur bedingt empfehlen, da die Tische und Stühle hier recht nah beieinander stehen. Wir thronten hingegen auf bequemen Kino-Sesseln mit bestem Blick auf die Bühne.
Auf Beutezug
Am nächsten Morgen brachen wir gen Mönckebergstraße auf. Wenn Mutti und ich gemeinsam verreisen, glühen die Bankkarten. Während mir mein Freund mit Bedacht ins Gewissen redet, wenn ich Gefahr laufe, mein halbes Gehalt innerhalb kürzester Zeit in kleidsame Teile zu investieren, steht meine Mutter jubelnd an der Kasse und ruft:
Bis zum Dispo ist noch lang hin!
So auch an diesem Freitag. Ob ihr es glaubt oder nicht – es war der erste T-Shirt-Wetter-Tag des Jahres, wir nur noch bis zum Abend in Hamburg, ein Hafenrundfahrt-Ticket in der Täsch – wir sind dem Kaufrausch nicht vor 20 Uhr entkommen! Typisch. Und äußerst verwerflich. Die Hafenrundfahrt war dahin, der Kontostand ebenso. Die umweltunfreundlichen Plastiktüten stapelten sich auf der Rückbank als wir im Sonnenuntergang zur Ostsee aufbrachen. Rein zufällig hatten wir den nicht zu unterschätzenden Feierabendverkehr gemieden.
Ab nach Boltenhagen
Nach knapp 1,5 Stunden, die letzten 20 min polternd durch feinstes Blair-Wich-Project-Land, kamen wir am belebten Iberotel in Weiße Wiek an. Beim Sektempfang bot sich uns das vermutlich typische Bild eines beliebten aber abgelegenen Spa-Hotels: verliebte Paare, befreundete Paare, verheiratet Paare, verwandte Paare und spaßige Mädelsrunden.
Nach unserem Shoppingmarathon fielen wir in unsere Spa-würdigen Betten. Am nächsten Morgen grüßte die See. Anfang April lag eine überschaubare Anzahl von Booten im Hafen, sodass der freudig erwartete Meerblick leider nur bedingt den werbewirksamen Shots aus Muttis Geburtstagskarte entsprach. Die Hausboote boten dennoch, was sollen sie denn auch anderes tun, ein entzückendes Panorama.
Ausgeschlafen und ausgeruht ging es runter zum Frühstück. Das Buffet im Iberotel ist der Knaller. Üppig, vielfältig, frisch und lecker. Ganz klar, dass danach ein Spaziergang an der örtlichen Hotel-Promenade nicht fehlen durfte. Als der gepflasterte Weg nach ca. 600 m am überschaubaren Hotelstrand abrupt endete, setzten wir unseren morgendlichen Gang nach einer kurzen Autofahrt am Boltenhagener Strand fort. Beide in Erinnerungen an unser Heimatland schwelgend.
Denn die Ostsee ist die Ostsee und Pinien riechen nach Polen und Kindheit.
Wismar: Schön ohne Hip
Mittags machten wir uns auf in das 25 km entfernte Wismar. Eine kleine, bunte Stadt, in der sich Konditorei an Konditorei reiht, Persil eine Litfaßsäule auf Lebenszeit bespielt und handfeste Markenware zu überteuerten Preisen im runtergekommenen Kaufhof verkauft wird. Überrascht hat uns insbesondere, dass sich der Einzelhandel in der City gegen 14 Uhr anschickte zu schließen. Das sind wir in unserer weltgewandten Paderstadt seit gefühlten 2 Jahren nicht mehr gewohnt.
Wir spazierten durch die malerischen Gassen der Altstadt, aßen annehmlich zu Mittag und erkundeten den Hafen. Stadthäfen haben eine besondere Anziehung auf mich. In Berlin-Friedrichshain war das Gelände rund um die Mediaspree mein Vorgarten, als mein Freund in Köln studierte verbrachten wir unzählige Laufmeter am Rheinauhafen und auch in Hamburg faszinierte mich während unserer Stadtrundfahrt insbesondere die Hafencity. Und eines haben diese Viertel gemeinsam. Sie bestechen durch architektonische Orgasmen, hippe Restaurants oder Clubs und unbezahlbaren Wohnraum. Hier in Wismar ist das irgendwie anders. Die Zeit steht. So oder so ähnlich stelle ich mir Köln, Berlin und Hamburg vor 50 Jahren vor. Mit etwas mehr Menschen vielleicht. Und prominenteren Persönlichkeiten, ok. Naja eben vor Instagram, Startups und Living Levels.
Spa, Baby!
Wieder im Hotel angekommen, schlüpften wir in unsere Badesachen und taten uns eine Runde Ruhe an. Der Spa-Bereich des Hotels ist überschaubar, aber top. Ein hübsches Schwimmbad für Sportliche, ein abwechslungsreicher Sauna-Bereich für die anderen. Dann ein sehr schöner Ruheraum mit Kamin. Und Räume, in denen Treatments zu Preisen angeboten werden, die mit unserem Travelcircus-Angebot nichts mehr zu tun haben. Und ich gestehe, eines scheint mein Hirn irgendwie nicht zu lernen: Wenn da steht „Wellness inklusive“, sind Massagen, Masken und Schlammbäder sicherlich nicht inbegriffen, Karo! Ungeachtet dessen, haben wir den Nachmittag sehr genossen. Chillen im Bademantel mit Blick über den Hafen, ein gutes Buch lesend und die Seele baumeln lassend – da geht was.
Das schlechte Gewissen
Am letzten Tag unserer Reise piesackten die nicht entwerteten Hafenrundfahrt-Tickets unser Gewissen dermaßen, dass wir direkt nach dem Frühstück ins Auto stiegen und nach Hamburg aufbrachen, um unsere Pflicht zu erfüllen. Kein Fehler, denn erneut teilten wir die lange Fahrt in zwei vertretbare Abschnitte und das Wetter bot beste Sicht auf die Wasserlinie. Besonders faszinierend fand ich die lustigen Fahrzeuge, die die Container im Hafen von A nach B bugsieren. Nein, nicht die riesen Tanker. Ich meine die Dinger, die aussehen wie fahrbare Brücken mit ner gläsernen Fahrerkabine oben auf. Leider hat meine Kurzrecherche bei Google keine brauchbare Bezeichnung geliefert. Daher überlasse ich nun euch des Rätsels Lösung.
Auf bald, k
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